Barbara Slee
Die EU-Verordnung über das Handelsverbot von Robbenprodukten sollte gefeiert werden, nicht auf den Prüfstand
Die EU-Verordnung über das Handelsverbot von Robbenprodukten sollte gefeiert werden, nicht auf den Prüfstand
Am 15. Mai 2024 startete die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zur Evaluierung der 2009 erstmals erlassenen EU-Verordnung über das Handelsverbot mit Robbenprodukten (engl.: EU Seal Trade Regulation). Diese unscheinbare Ankündigung lautet wie folgt:
„Im Rahmen dieser Initiative wird bewertet, ob die geltenden Vorschriften weiterhin ihren Zweck erfüllen, wobei der Schwerpunkt auf den sozioökonomischen Auswirkungen und ihren Auswirkungen auf die Robbenpopulationen liegt.“
Bei manchen mag dieser Satz keine Alarmglocken schrillen lassen, bei uns vom IFAW jedoch schon.
Der IFAW kämpft seit 1969, als Brian Davies unsere Organisation gründete, für ein Ende des grausamen kommerziellen Abschlachtens von Robben in Kanada. Den ersten großen Erfolg erzielten wir im Jahr 1982, als Europa für ein Verbot der Einfuhr von Fellen der Sattelrobbe und der Klappmützenrobbe stimmte.
Doch das war noch nicht alles, und nach vielen Jahren harter Kämpfe wurde unsere Lobbyarbeit schließlich mit einem größten Siege für den Tierschutz aller Zeiten belohnt: Die Welthandelsorganisation bestätigte 2014 in ihrem endgültigen Urteil, dass Tierschutzbelange ein legitimer Grund für Handelsbeschränkungen sind und dass die EU berechtigt ist, die Einfuhr und den Verkauf von Produkten aus der grausamen kommerziellen Robbenjagd zu verbieten.
Die von der Europäischen Kommission angekündigte Initiative ist vergleichbar mit einer routinemäßigen Wartung eines Autos, bei der man den Reifendruck prüft, das Öl wechselt und die Flüssigkeiten austauscht, um festzustellen, ob das Auto noch seinen Zweck erfüllt: Es soll einen von A nach B bringen.
In diesem Fall will die Kommission prüfen, ob die EU-Verordnung über den Handel mit Robbenerzeugnissen noch ihrem Zweck entsprechend funktioniert. Erinnern wir uns also an die ursprünglichen Ziele der Verordnung.
Geschichte der EU-Verordnung über den Handel mit Robbenerzeugnissen
Die Verordnung 1007/2009, besser bekannt unter dem Namen EU-Verordnung über den Handel mit Robbenprodukten, verfolgt das Ziel der „Beseitigung von Hemmnissen für das Funktionieren des Binnenmarktes durch Harmonisierung der nationalen Handelsverbote für Robbenprodukte auf Gemeinschaftsebene“. Als die EU 2009 ihr Verbot von Robbenerzeugnissen erließ, um die Handelsvorschriften EU-weit zu vereinheitlichen, hatten bereits mehrere Länder in Europa den Handel mit Produkten aus der kommerziellen Robbenjagd verboten, darunter Belgien und die Niederlande.
Ein weiteres Ziel der Verordnung über den Handel mit Robbenprodukten war es, die Bedenken von Bürger:innen und Verbraucher:innen hinsichtlich der Tierschutzaspekte des Tötens und Häutens von Robben und der möglichen Existens von Produkten dieser auf grausame Weise getöteten Tiere auf dem Markt zu adressieren. Die Bevölkerung der EU wollte nicht länger hinnehmen, dass Produkte aus einer von Natur aus grausamen, kommerziellen Robbenjagd in den Geschäften der EU landen.
Warum diese Formulierung so wichtig ist
Es ist ganz einfach: Die Verordnung über den Handel mit Robbenerzeugnissen hat ihr Ziel erreicht, die Handelsvorschriften zu vereinheitlichen und sicherzustellen, dass Robbenprodukte aus der kommerziellen Robbenjagd nicht mehr auf EU-Märkten verkauft werden. Das hätte das Ende der Geschichte sein können.
Doch die Bewertung der Zweckmäßigkeit der geltenden Vorschriften über den Handel mit Robbenprodukten mit dem Fokus „auf ihren sozioökonomischen Auswirkungen und ihren Auswirkungen auf die Robbenpopulationen“, wie es im Einleitungstext der Bewertung heißt, ist vergleichbar mit der Wartung eines Autos, um zu sehen, ob es fliegt. Das Auto sollte nie fliegen, und die Verordnung über den Handel mit Robbenerzeugnissen war nie auf das Management oder die Wiederherstellung von Robbenpopulationen ausgerichtet.
Es stimmt, dass ein unbeabsichtigter positiver Nebeneffekt der Verordnung darin besteht, dass die Robbenpopulationen nicht weiter dezimiert werden. Zusätzlich hat sich der Jagddruck reduziert und damit geholfen, dass die Robbenpopulationen ihre Resilienz gegenüber der Klimakrise erhöhen konnten. Als eine vom Eis abhängige Art sind Sattelrobben bereits durch die Erwärmung der Temperaturen infolge der Klimakrise bedroht, so dass die Jagd ihr Überleben nur noch mehr gefährdet. Doch so edel eine solche biologisch motivierte Absicht auch sein mag, sie ist nicht durch eine Handelsverordnung gedeckt, die eigentlich darauf abzielt, den Handel zu vereinheitlichen. Aktivist:innen, Kommunikationsspezialisten:innen und Biolog:innen, die an Robbenkampagnen in ganz Europa und Kanada beteiligt waren, sehen die Zeichen der Zeit, und auch wir erkennen die Hintergedanken, die bei dieser Thematik ins Spiel kommen. Robben drohen wieder zum Sündenbock zu werden, wenn die Fischbestände niedrig sind und das Fischereimanagement die nachhaltigen Fangquoten nicht durchsetzt.
Das sollten wir im Keim ersticken: Robben zu töten, weil diese angeblich zu viele Fische töten, und Robbenprodukte mit dem Argument zu verkaufen, dass „dies die nachhaltigste und ethischste Art sei, mit Robben umzugehen, die Fische fressen“, ist so, als würde man die Räder von seinem Auto abmontieren, weil es nicht mehr fliegt. Größere Meeressäuger und Fische wie Haie spielen eine entscheidende Rolle im Ozean, und wir brauchen diese Tiere dringend, um unsere Meeresökosysteme gesund zu erhalten.
Die EU-Verordnung über den Handel mit Robbenprodukten ist eine enorme Leistung, ein echter Meilenstein und ein erstaunlicher Erfolg, der bestätigt, dass das Wohlergehen der Tiere den Bürgerinnen und Bürgern Europas tatsächlich am Herzen liegt – und dass das Wohlergehen der Tiere über den Handel mit Tierprodukten triumphiert, die auf grausame und unethische Weise beschafft wurden. Dies ist ein Beispiel dafür, warum wir die EU und ihre Institutionen brauchen – um unsere Werte zu verteidigen und zu bekräftigen, wie wichtig eine funktionierende Koexistenz zwischen Menschen und Wildtieren ist.
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