Kathleen Collins
Hoffnung und Leid während der Kalbungssaison der Nordatlantischen Glattwale
Hoffnung und Leid während der Kalbungssaison der Nordatlantischen Glattwale
Jedes Jahr werden Teile der Ostküste der Vereinigten Staaten zur Kinderstube der vom Aussterben bedrohten Nordatlantischen Glattwale. Jahr für Jahr beobachten wir die neugeborenen Kälber, aber auch die Todesfälle der Wale. Die Kalbungszeit 2024 ist bisher wie eine Achterbahnfahrt.
Die Situation der Nordatlantischen Glattwale ist dramatisch. Früher schätzte man, dass diese Wale über 70 Jahre alt werden. Heutzutage haben sie Glück, wenn sie ein Alter von 40 Jahren erreichen. Trotz der Abschaffung des Walfangs in den USA im Jahr 1971 und in Kanada im Jahr 1972 sterben die Nordatlantischen Glattwale in der Regel nicht an Altersschwäche. Dabei sind ihre größten Bedrohungen nach wie vor getrieben durch menschliche Aktivitäten. Vor allem Zusammenstöße von Walen mit Schiffen und die Verstrickung in Fischereileinen stellen große Bedrohungen dar. Es gibt schätzungsweise nur noch etwa 350 Nordatlantische Glattwale. 50 Geburten pro Jahr können zu einer stabilen Population führen, während derzeit 20 Geburten als produktive Kalbungszeit angesehen werden können. Weniger als 20 Geburten pro Jahr würden über einen längeren Zeitraum praktisch das Aussterben dieser Art bedeuten.
Mit 19 neugeborenen Kälbern konnte die aktuelle Kalbungszeit bisher den zweithöchsten Wert des letzten Jahrzehnts erreichen. Doch 2024 war auch ein Jahr der Tragödien. Selbst in einem erfolgreichen Jahr in Bezug auf die Anzahl der neugeborenen Kälber ist es verheerend, wenn auch nur eines der Kälber stirbt – und wir haben bereits vier von ihnen verloren. Drei weitere Wale – zwei Kälber, die in der vergangenen Saison geboren wurden, und ein erwachsener Wal – sind in diesem Jahr verendet, nachdem sie von Schiffen angefahren wurden oder sich in Fischereileinen verfangen hatten.
Angesichts dieser Tragödien ist es schwer, optimistisch zu sein. Bei der derzeitigen Sterblichkeits- und Fortpflanzungsrate wird der Nordatlantische Glattwal voraussichtlich bis 2035, also in nur 11 Jahren, ausgestorben sein. Dennoch bleibe ich hoffnungsvoll und entschlossen. Nicht nur, weil die Wale in dieser Saison dem Ziel von 20 neugeborenen Kälbern so nahegekommen sind, sondern auch, weil die Menschen große Fortschritte bei der Suche nach Möglichkeiten zu ihrem Schutz machen.
Verluste in der Kalbungssaison 2024
Das Leid in dieser Kalbungssaison begann damit, dass Juno, eine 38-jährige achtfache Mutter und zweifache Großmutter, kurz nach Thanksgiving mit dem ersten Kalb der Saison vor der Küste von Georgetown, South Carolina, gesichtet wurde. Doch wir hatten keine Zeit zum Feiern: Kurz darauf wurde ihr neugeborenes Kalb mit grausamen Kopfverletzungen gesichtet, die darauf schließen ließen, dass es mit einem Schiff kollidiert ist.
Während des nächsten Monats wurde das Kalb beobachtet. Es sah abgemagert aus, doch einige seiner Wunden waren bereits verheilt und es wurde beim Säugen beobachtet. Dann, Anfang März, wurde Juno ohne ihr Kalb gesichtet. Bereits am nächsten Tag wurde ebenjenes Kalb, mit dem diese vielversprechende Geburtssaison begonnen hatte, tot an einer Küste von Georgia gefunden.
Drei weitere Nordatlantische Glattwale, die in dieser Saison bereits gekalbt haben, wurden seitdem ohne ihre Kälber gesichtet. Da diese Kälber zu jung sind, um allein zu überleben, wird ihr Tod vermutet.
Tod von reproduktiven Weibchen bedeutet Probleme
Soll die Population der Nordatlantischen Glattwale eine Chance haben, sich zu erholen, sind neugeborene Kälber und fortpflanzungsfähige Weibchen unerlässlich. Leider wurden in diesem Jahr drei Weibchen mit dem Potenzial zur Erzeugung von Kälbern auf tragische Weise getötet.
Im Januar wurde vor der Küste der Insel Martha's Vineyard der Körper eines Nordatlantischen Glattwals (Catalog #5120) gefunden, der 2021 geboren wurde. Der Wal war 2022 durch Verstrickungen in Fischereigerätschaften schwer verletzt worden. Die Versuche des Marine Entanglement Response Team des Center for Coastal Studies im Jahr 2023, das Tier von dem Seil zu befreien, blieben erfolglos. Zwei Jahre lang, während der Wal wuchs, gruben sich die Seile immer fester in dessen Körper ein. Letztlich fand man den verstorbenen Wal mit tief in den Körper eingegrabenen Seilen, ein Beweis für schmerzhafte und schließlich tödliche Verstrickungen.
Im Februar wurde ein zweijähriges Kalb – das erste von Pilgrim, einem Nordatlantischen Glattwal, der von einer Mutter geboren wurde, die sich auch schon mal schwerst verheddert hatte – vor der Küste des US-Bundesstaates Georgia tot aufgefunden, mit Verletzungen, die auf eine Kollision mit einem Schiff zurückzuführen waren.
Nicht mal ein ganzer Monat verging, bis ein weiterer vermeidbarer Todesfall gemeldet wurde. Ende März, nur vier Wochen nach dem Fund von Junos Kalb, wurde ein Nordatlantischer Glattwal mit der Katalognummer #1950, der erstmals 1989 gesichtet wurde, tot vor der Küste von Virginia aufgefunden – mit verrenkter Wirbelsäule und einem durch eine Schiffskollision böse zugerichtetem Körper. Im Laufe ihres Lebens hatte dieser Wal fünf Kälber aufgezogen. In dieser Saison brachte sie ein sechstes Kalb zur Welt, das jetzt vermutlich tot ist. Ein Kalb kann ohne seine Mutter nicht überleben. Mit einer einzigen Schiffskollision wurden zwei Wale getötet, und jedes potenzielle Kalb, das sie und ihre Nachkommen hätten haben können, ging verloren.
Verlangsamung der Schiffsgeschwindigkeiten rettet Leben
Die Zusammenstöße mit Schiffen, die so vielen Nordatlantischen Glattwalen das Leben gekostet haben, sind vermeidbar. Vergleichbar mit den Geschwindigkeitsbeschränkungen für Autos vor z.B. Schulen und in Spielstraßen, ist die Einführung von Geschwindigkeitsbeschränkungen in Lebensräumen von Walen von entscheidender Bedeutung, damit Schiffe und Wale nicht zusammenstoßen.
Seit 2008 gelten für Schiffe mit einer Länge von knapp 20 Metern und mehr Geschwindigkeitsbeschränkungen in ausgewiesenen Gebieten entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten, wenn Wale vor Ort sind. Im Jahr 2020 kam die Bewertung der bundesweiten Geschwindigkeitsbeschränkung zu dem Schluss, dass die Gesetzgebung zwar die Zahl der durch Schiffskollisionen getöteten Wale verringert hat, allerdings noch mehr getan werden muss, wenn die Art überleben soll.
Im Herbst 2022 schlug die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) eine Änderung der Geschwindigkeitsregelung von 2008 vor, um die ausgewiesenen Gebiete zu aktualisieren und an die neuen Wanderungsmuster der Wale anzupassen und Schiffe mit einer Länge von 10 bis 20 Meter einzubeziehen, die für 40% der bekannten Schiffskollisionen mit Walen verantwortlich sind. Der IFAW unterstützt nachdrücklich diese längst überfällige Änderung, die seit mehr als anderthalb Jahren in einem Schneckentempo durch den Gesetzgebungsprozess gegangen ist. Erst im März dieses Jahres hat die OIRA das Stadium der endgültigen Regelung erreicht, und im April und Mai sind Sitzungen zu den Auswirkungen geplant. Der IFAW drängt weiterhin darauf, dass die Änderung so schnell wie möglich abgeschlossen, umgesetzt und durchgesetzt wird.
Es liegt an uns
Die Nordatlantischen Glattwale können keine weiteren Todesfälle als Beweis dafür verkraften, dass sich etwas ändern muss. Der Weg zu ihrem Schutz und zu einer friedlicheren Koexistenz ist klar – durch Technologie, Wissenschaft, Rettung und Gesetzgebung können Nordatlantische Glattwale sicher leben, ihre Jungtiere aufziehen und durch die Gewässer wandern, die sie mit den Menschen teilen. Bedarfsgerechte Ausrüstungen und Innovationen bei der Vorhersage des Aufenthaltsortes von Walen tragen dazu bei, den Ozean für diese Meeressäuger sicherer zu machen. Sollte der Gesetzgeber jedoch weiterhin lebensrettende Gesetze verschleppen, sind diese Wale dem Aussterben geweiht.
Mit 19 Geburten sind die Wale in dieser Saison unglaublich erfolgreich gewesen. Wir Menschen sind es, die versagt haben. Wir brauchen Gesetze, um die Schiffe zu verlangsamen und Todesfälle zu verhindern. Die Wale haben ihren Teil getan, jetzt müssen wir unseren Teil tun, und zwar schnell. Wir – und auch die Nordatlantischen Glattwale – haben keine einzige Sekunde mehr zu verlieren.
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