Noch verbirgt sich die Sonne hinter dem Horizont, und die Savanne ist in Dunkelheit gehüllt. Meine Ungeduld lässt mir keine Ruhe, und so starte ich den Geländewagen. Die Scheinwerfer beleuchten den Weg nur spärlich. Ich begebe mich auf die Suche nach einer ganz besonderen Gruppe von Tieren: den auf Bäume kletternden Löwen in Uganda.
Nach wenigen Kilometern wird es bereits heller. Die Silhouetten der großen Afrikanischen Feigenbäume zeichnen sich allmählich im Dämmerlicht ab. Genau diese großen Bäume mir dabei helfen, zu finden, was ich suche. Ich spüre die wachsende Aufregung in mir, wenngleich mir bewusst ist, dass meine Erfolgsaussichten eher gering sind.
Plötzlich bemerke ich zwei große Schatten, die sich im hohen Gras bewegen. Mein Herz schlägt schneller. Ich halte den Atem an. Ich nehme meine Umgebung ganz bewusst wahr und die Zeit scheint einen Augenblick stillzustehen. Schattenhafte Figuren erscheinen im Licht. Und tatsächlich: Es sind die legendären „Auf Bäumen kletternden Löwen von Ishasha“, die ich gesucht und trotz allen Zweifels gefunden habe.
Die zwei großen männlichen Löwen sind völlig unbeeindruckt vom Anblick des Geländewagens. Sie bewegen sich entschlossen in Richtung eines riesigen Afrikanischen Feigenbaumes in einigen hundert Metern Entfernung.
Ich positioniere das Fahrzeug am Fuße des großen Baumes, in der günstigsten Position, um sicher das Verhalten beobachten zu können, das diese Löwen einzigartig und weltweit berühmt macht.
Nach wenigen Minuten erreichen die zwei großen Löwen den Fuß des riesigen Stammes und klettern ohne zu zögern nacheinander auf die erste Astgabel. Die Löwen lassen sich leichtfüßig am Ende eines kräftigen Astes nieder, der vermutlich ihren Ruheplatz für den Rest des Tages darstellt. Welch beeindruckendes Schauspiel derart schwerer Großkatzen. Ein ausgewachsenes Löwenmännchen kann ein Gewicht von 230 Kilogramm erreichen.
Eine außergewöhnliche Gruppe Löwen
Auch Löwen im übrigen Afrika sind fähig zu klettern, doch meistens tun sie dies nur in Ausnahmefällen und sind dabei eher unbeholfen. Die Löwen im Ishasha-Sektor des Queen-Elizabeth-Nationalparks in Uganda, von der Bevölkerung vor Ort einfach „Queen“ genannt, beginnen von klein auf mit dem Klettern. Sie ahmen die Akrobatischen Bewegungen ihrer Eltern nach und werden bald selbst zu Kletterkünstlern. Warum aber ist das Klettern hier so verankert? Grund dafür ist vermutlich die Kombination von drei Umweltfaktoren: das feuchtheiße Klima (das in den höher gelegenen Astgabeln der Bäume besser zu ertragen ist), der Abstand zu den lästigen Tsetsefliegen am Boden sowie schließlich die großen Afrikanischen Feigenbäume, die relativ leicht zu erklimmen sind und einen Rundblick auf mögliche Beutetiere am Boden, wie grasende Antilopen, ermöglichen.
Dieser seltene Anblick ist nur hier zu beobachten - ein einzigartiges Schauspiel, das wir weiter beobachten und bewahren müssen. Dem Bestand der Ishasha-Löwen gehören nur 35 Einzeltiere an, womit er wie alle einzigartigen und seltenen Phänomene leider stets gefährdet ist.
Der schmale Streifen des Ishasha-Gebietes, in dem dieser besondere Löwenbestand lebt, wird im Westen von der Demokratischen Republik Kongo (DRC) begrenzt, während in den Gebieten im Osten vorwiegend Schaf- und Rinderzucht betrieben wird. Wilderei und illegaler Wildtierhandel zwischen Uganda und der DRC stellen eine große Gefahr für die Artenvielfalt des westlichen Teils des Großen Afrikanischen Grabenbruchs dar, insbesondere für den Virunga Nationalpark in der DRC und dem Queen in Uganda. Zudem sind Löwen ständigen Gefahren durch Mensch-Wildtier-Konflikten sowie Vergeltungsmaßnahmen wie Vergiften und das Aufstellen von Fallen ausgesetzt.
Der IFAW unterstützt die Umsetzung einer Initiative zum Schutz der Wildtiere, die mithilfe der Behörde für internationalen Drogenhandel und Strafverfolgung (INL) des US-Außenministeriums finanziert wird. Der IFAW kooperiert mit IUCN NL sowie mit der Ugandischen Wildtierbehörde (UWA) und dem Kongolesischen Institut für Naturschutz (ICCN), um den illegalen Wildtierhandel zu unterbinden, der auch grenzüberschreitend stattfindet. Gemeinsam mit der Bevölkerung vor Ort setzen sich diese Organisationen aktiv dafür ein, Wildtierkriminalität zu bekämpfen und zu verhindern. Außerdem werden Ranger und Rangerinnen geschult und mit der nötigen Ausrüstung ausgestattet, um bedrohte Wildtiere wie Ishasha-Löwen, Schuppentiere und Elefanten zu schützen.
Mit Ranger-Teams auf Patrouille
Während meines Besuchs im Queen habe ich Gelegenheit, die Rangerteams zu treffen, die die Löwen des Parks schützen und im Park patrouillieren. Ich begleite eines der Rangerteams bei einem ihrer Einsätze. Wir folgen den kleinen von Gazellen, Büffeln und Nilpferden angelegten Pfaden durch Dornengestrüpp und schlammiges Sumpfland. Die erfahrenen Ranger rücken schweigend vor und folgen ihrem Orientierungssinn. Sie bewegen sich in fächerförmiger Anordnung, oftmals außer Sichtweite voneinander und halten mittels kurzer gedämpfter Pfiffe ständigen Kontakt. Sie untersuchen die Pfade, den Untergrund der Büsche und Wasserstellen, stets auf der Suche nach kleinsten Spuren. Schließlich entdecken sie die erste Falle.
Ich erkenne diese selbst dann nicht, als der Ranger geduldig mit dem Finger darauf zeigt. Das einzige Anzeichen ist ein kleines Holzstück, das tief in den Schlamm gesteckt wurde. Er entfernt es vorsichtig, und zum Vorschein kommt das zuvor unsichtbare Stahlkabel zu einer Schlinge geformt, das unweigerlich sofort zuschnappen würde, wenn ein Tier hierher treten würde.
Nachdem die erste Falle entschärft wurde, setzen die Ranger ihre Suche fort. Sie erklären mir, dass Wilderer eigentlich immer vier oder fünf Fallen im selben Gebiet aufstellen. Innerhalb kurzer Zeit finden sie zwei weitere Fallen von Wilderern ähnlich der ersten sowie zwei weitere robustere Fallen, womöglich um Büffel und Nilpferde zu fangen. All dies geschieht während der Patrouille in unter drei Stunden.
Nach diesem Einsatz fahren wir zurück zum Lager, wo sie mir den Container mit allen im Busch gefundenen Fallen zeigen. Die schwere Tür öffnet sich und gibt den Blick frei auf unvorstellbar viele Schnüre, Stahlkabel, Netze, Speere und Fallen jeglicher Art und Form, einschließlich schwerer Schlagfallen. Ein beängstigendes Arsenal, das sie im Laufe der letzten fünf Jahre angelegt haben.
Die Arbeit der Ranger-Teams scheint nie zu enden: an einem Tag stellen die Wilderer Fallen auf, und am nächsten Tag werden diese von den Rangern entfernt, und das Tag für Tag. Trotz dieser Herausforderungen setzen sie sich weiterhin entschlossen dafür ein, eine bessere Zukunft für Wildtiere in Uganda zu schaffen.
Mich rührt die Bemerkung eines Rangers dazu: Er lächelt und sagt: „Nun, auch heute sind es fünf tote Tiere weniger.“
- Paolo Torchio
www.paolotorchio.net
FB: @PaoloTorchioWildlifePhotography
IG: @p.torchio.images_from_the_wild
Dieser Artikel wurde zum Teil vom US-Außenministerium gefördert. Die in diesem Beitrag enthaltenen Meinungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen sind die des Autors und geben nicht zwangsläufig jene des US-Außenministeriums wieder.
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