Sheryl Fink
Von Klimakrise und Robbenjagd: Die Bedrohungen für Sattelrobben bleiben
Von Klimakrise und Robbenjagd: Die Bedrohungen für Sattelrobben bleiben
An der Ostküste Kanadas liegt Frühling in der Luft. Der Schnee schmilzt, Rotkehlchen kehren aus ihrem Winterquartier zurück, und Sattelrobbenweibchen versammeln sich auf den unberührten Eisschollen, um ihre Jungen zu gebären. Tragischerweise zeigt der Klimawandel auch hier seine Auswirkungen.
Der Klimawandel und dessen Auswirkungen auf das Meereis stellen eine ernste Bedrohung (Englisch) für junge Sattelrobben dar. Ihre Mütter sind auf eine feste Eisdecke angewiesen, um ihre Jungen zu gebären und großzuziehen. Auch nach der Trennung von ihren Müttern brauchen die Jungen das Eis, während sie selbständig lernen zu schwimmen und auf Nahrungssuche zu gehen. 2021 erweist sich als ein Jahr mit ungewöhnlich geringer Eisbedeckung (Englisch), die den niedrigsten Wert seit Beginn der Eismessungen im Jahr 1969 aufweist. Noch lässt sich nicht abschätzen, wie sich dies auf den Bestand der Sattelrobben auswirken könnte. Vermutlich werden viele Jungrobben sterben, wenn sie in das dünne Eis einbrechen und ertrinken oder an der Küste zurückgelassen werden, wo sie Raubtieren schutzlos ausgeliefert sind. Auch für Freunde von Robbenbeobachtungen sind dies schlechte Nachrichten: zum fünften Mal seit 2010 wurden Touren zu den Jungrobben im Sankt-Lorenz-Golf aufgrund der zu dünnen Eisdecke abgesagt (Englisch).
In wenigen Wochen beginnt die jährliche kommerzielle Robbenjagd. Besteht Hoffnung, dass die Spezies dieses schwierige Jahr übersteht, das von extremen durch Menschen und Klima verursachten Herausforderungen geprägt ist?
Glücklicherweise gibt es Hoffnung. Der Wirtschaftszweig der kommerziellen Robbenjagd in Kanada ist weiterhin stark rückläufig. Seitdem 2009 ein EU-weites Verbot von Robbenprodukten erlassen wurde, sind die Zahlen getöteter Robben extrem gesunken, auch wenn die kanadische Regierung die Fangquote von 400.000 Sattelrobben aufrechterhält. Tatsächlich ging die Zahl getöteter Robben zwischen 2006 und 2019 um 90 Prozent zurück. Und aufgrund der COVID-19-Beschränkungen fand die kommerziellen Robbenjagd im Jahr 2020 zum großen Teil nicht statt. Mit bereits 36 internationalen Handelsverboten für Robbenprodukt, besteht offenbar kaum Nachfrage nach unnötigen Gegenständen, wie Luxus-Pelzbekleidung und Energydrinks aus Robbenpenissen (Englisch), für die Robben jedes Jahr niedergemetzelt werden.
Eine Reihe von Fehlschlägen
Einige Fischer fordern, die Regierung sollte mehr Geld in die Robbenindustrie investieren. Wer sich jedoch intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, weiß, dass derartige Versuche bisher scheiterten. Mitte der neunziger Jahre startete der von der kanadischen Regierung beauftragte Fischereiminister ein massives Subventionsprogramm, wodurch der Robbenfang wiederbelebt wurde. Nach dem Zusammenbruch der Kabeljaufischerei im Atlantik behauptete er, Robben würden die Kabeljaubestände vernichten (Überraschung: Ursache waren nicht die Robben, sondern Überfischung). Daraufhin erhöhte er die Fangquote für Sattelrobben und gewährte Direktzuschüsse. Fischer wurden also sozusagen für das Töten von Robben bezahlt.
Während der folgenden zwanzig Jahre verschwendeten aufeinanderfolgende Regierungen hunderte Millionen Dollar mit dem Ziel, den Robbenfang in Kanada zu einem rentablen Wirtschaftszweig auszubauen. Sie führten Direktzuschüsse für Robbenfänger ein (Englisch), investierten massiv in die Produktentwicklung, versuchten, internationale Märkte für Robbenprodukte zu erschließen (Englisch) und kämpften (erfolglos) gegen die EU-Handelsverbote. All dies war vergeblich: Der Wert der Robbenjagd ist nun geringer als je zuvor.
So überrascht es wenig, dass sich die Kabeljaubestände selbst dann nicht erholten, nachdem hunderttausende Robben niedergemetzelt worden waren. Nun ist klar, dass nicht die Robben für den Rückgang der Kabeljaubestände verantwortlich waren. Die wahren Gründe waren systematische Überfischung und Misswirtschaft, worauf Küstenfischer, Wissenschaftler und Experten bereits seit längerem hingewiesen hatten, jedoch leider ignoriert wurden.
Weder damals noch heute waren die Robben das Problem.
Verbreitung von Fehlinformationen
Die Robbenindustrie verbreitet weiterhin Fehlinformationen und unterstellt, Robben würden mit Fischern um kommerziell wichtige Arten, wie Lodde, Taschenkrebse und Kabeljau konkurrieren. Kürzliche „Werbegags“, wie das Aufschneiden des Bauches einer Bartrobbe (Englisch) (eine relativ seltene Robbenart in Ostkanada) und die Behauptung, deren Mageninhalt würde beweisen, dass Robben erschlagen werden müssen, sollten bestenfalls als vollkommen unwissenschaftlich und schlimmstenfalls als schamlos verlogen gelten. Wer derartigen Behauptungen Glauben schenkt, ignoriert jahrelange Forschungen seriöser Wissenschaftler, die Wechselwirkungen des Ökosystems und Auswirkungen des Fressverhaltens von Robben auf die Fischbestände untersuchen. Die Forschungen zeigen, es gibt keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass Fischer in irgendeiner Weise vom Niedermetzeln der Robbenbestände profitieren würden. Ganz im Gegenteil könnte das Abschlachten der Robben ungeahnte und unbeabsichtigte Folgen (Englisch) für Ökosysteme mit sich bringen.
Covid-19 hat uns gelehrt, dass Regierungen und Entscheidungsträger unbedingt auf den Rat von Wissenschaftlern hören sollten. Robben, Wale und Seevögel sind keine „Konkurrenz“, die es auszuschalten gilt: sie sind wichtige Bestandteile gesunder funktionierender Meeresökosysteme.
Es ist Zeit, sinnvolle Lösungen zu finden
Wenn die Sattelrobben die Zerstörung ihres wichtigen Lebensraums im „ewigen Eis“ auf Dauer überleben sollen, brauchen sie unsere Hilfe. Anhaltende Überfischung, Klimawandel, im Meer umhertreibende Fanggeräte und Plastikmüll wirken sich weitaus stärker auf die Fischbestände aus als das Fressverhalten von Robben. Sie können uns helfen, indem Sie aktiv werden und die kanadische Regierung zur Unterstützung von Initiativen auffordern, die Robben und deren Lebensraum im Meer schützen.
Die kommerzielle Robbenjagd wird bald der Vergangenheit angehören. Inzwischen arbeiten wir weiterhin daran, nachhaltige Lösungen zu finden, um die größten Bedrohungen für Tiere zu bekämpfen. Wissenschaftlich gestützte Lösungen, die Tieren, Menschen und unserem Planeten zugutekommen.
-Sheryl Fink, IFAW Kampagnenleiterin Wildtiere, Kanada
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