Wildtierrettung – Australien
In kaum einem Land der Welt sind Säugetiere so stark vom Aussterben bedroht wie in AustralienBetreuung des geretteten Koalababys Aminya
Betreuung des geretteten Koalababys Aminya
Der IFAW arbeitet mit der Organisation „Friends of the Koala“ im australischen Lismore zusammen. Gemeinsam unterstützen wir Tierarzthelferin Marley Christian in ihrem Triage-, Behandlungs- und Pathologie-Institut. „Friends of the Koala“ rettet derzeit über 50 Prozent aller kranken und verletzten Koalas im Bundesstaat New South Wales. Marley begann 2015 als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der Organisation. Seitdem schloss sie eine Fachausbildung als Tierarzthelferin ab (Cert IV) und sammelte wichtige Erfahrungen in der Rettung und Betreuung von Koalas. Im Mai 2019 wurde Marley die erste fest angestellte Tierarzthelferin bei „Friends of the Koala“ und ist in dieser Funktion verantwortlich für die Sofortbehandlung und klinische Überwachung kranker und verletzter Koalas. Hier Marleys Bericht über einen verwaisten Joey (so werden Koalababys genannt) namens Aminya und den Prozess ihrer Genesung.
Ein Freitagabend im Juni. Ich hatte meine Schicht gerade beendet, als ein Notruf bei Friends of the Koala einging. Ein Spaziergänger hatte einen Koala vom Baum fallen sehen. Das Weibchen überlebte den Sturz leider nicht, aber bei näherem Hinsehen bemerkte der Spaziergänger eine Bewegung in ihrem Beutel. Ihr Joey war noch am Leben.
Als ich vor Ort eintraf, hatte man das Weibchen in eine Decke gehüllt, damit das Junge im Beutel der Mutter nicht auskühlte. Genau das sollte man tun, wenn man ein Weibchen und ihr Junges findet – immer beide zusammen lassen, auch wenn die Mutter tot ist.
Bei der Untersuchung des Koalaweibchens fanden wir Verletzungen an ihrem Hinterbein, die darauf hindeuteten, dass sie von einem Auto angefahren wurde. Das könnte erklären, warum ihr die Kräfte schwanden und sie vom Baum fiel. Das Junge war etwa vier Monate alt, ein Weibchen. Sie war leicht dehydriert, ansonsten aber dem Anschein nach in guter Verfassung. Ich nahm das Koalababy mit nach Hause, verabreichte ihr etwas Flüssigkeit und setzte sie in einen zweifachen Beutel mit einem Stoffpanda zum Kuscheln. Sie hatte es warm und gemütlich, war aber immer noch sehr durstig. Mit einer kleinen Spritze gab ich ihr in warmem Wasser aufgelöste Glukose. Ich musste sehr langsam vorgehen, damit sie nicht zu viel auf einmal schluckte. Zum Glück stellte sie sich sehr geschickt an. Der Spaziergänger, der sie gefunden hatte, gab ihr den Namen „Aminya“. So hieß das Grundstück, vor dem sie und ihre Mutter abgestürzt waren. In der Sprache der Aborigines heißt Aminya soviel wie „ruhig“. Aber diese Koalawaise war überaus lautstark. Die ganze Nacht hindurch rief sie herzzerreißend nach ihrer Mutter und meldete alle zwei Stunden Hunger an. Ich fütterte sie immer wieder bis in die frühen Morgenstunden hinein.
Aminya wird jetzt für weitere sieben bis acht Monate von einer Tierpflegerin namens Anika betreut und zusammen mit anderen verwaisten Joeys mit der Flasche großgezogen. Ich besuche sie regelmäßig und beobachte mit großer Freude, dass sie sich in Anikas fachkundiger Obhut prächtig entwickelt. Aminya verbringt immer noch viel Zeit mit ihrem Stoffpanda in ihrem „Beutelkorb“, wird aber hoffentlich bald schon etwas unternehmungslustiger werden. Sie liebt ihre Flasche und wird viermal in der Nacht und zweimal tagsüber gefüttert. Manchmal knabbert sie auch schon an Blättern. Anika ist davon überzeugt, dass Aminya zu einem gesunden und kräftigen Weibchen heranwachsen wird – so wie ihre Mutter (die wog 8,2 kg und lag damit über dem Durchschnittsgewicht weiblicher Koalas von 6 bis 7 kg).
Die Aufzucht verwaister Koalas ist ein Vollzeitjob, für den man viel Engagement, Geduld und eine spezielle Ausbildung braucht. Gemäß der „Eine-Mutter-Richtlinie“ müssen sich Joey-Pfleger bis zu einem Jahr um ihre Zöglinge kümmern – manchmal sogar noch länger. Diese Aufgabe kann unglaublich lohnend aber auch eine emotionale Achterbahnfahrt sein, da junge Koalas unglaublich fragil sind und es keine Garantie dafür gibt, dass sie die betreute Aufzucht überleben.
Koalas sind nachtaktive Tiere. Deshalb beginnt unser Tag im Zentrum normalerweise um 5.30 Uhr. Wir bereiten die Mahlzeiten vor, füttern die Joeys und kümmern uns darum, dass ihre Schlaflager für eine erholsame Ruhe warm und trocken sind. Während die Joeys schlafen, waschen wir die Beutel und die Laken, säubern die Flaschen und mischen die Spezialmilch für die nächsten 24 Stunden an. Anschließend kommt das tägliche Blättersammeln, das bis zu zwei Stunden dauern kann, weil nur bestimmte Eukalyptusarten in Frage kommen. Zwischen 23.00 Uhr und 2.00 Uhr früh haben die Koalas Spielzeit, und ehe man sich‘s versieht, ist es schon wieder 5.30 Uhr. Der nächste Tag Reha und Betreuung beginnt.
Vor Aminyas Auswilderung müssen wir dafür sorgen, dass sie sich selbst mit Nahrung versorgen und schützen kann – ganz unabhängig vom Menschen. Diese abschließende Vorbereitung dauert meist einige Wochen. In dieser Zeit gibt es keine physische oder verbale Interaktion mit den Pflegern, die nur noch überwachen und beobachten. Die meisten Joeys protestieren zunächst gegen diese ungewohnte Behandlung, gehen dieses letzte Stück ihrer Rehabilitation dann aber durchaus selbstbewusst an.
Dafür wird Aminya für zwei bis drei Wochen in den „Koala Kindergarten“, das Auswilderungsgehege von Friends of the Koala, einquartiert. Entwickelt sie sich weiterhin so gut, kann Aminya voraussichtlich im Februar oder März 2020 in die freie Wildbahn zurückkehren. Das ist dann der Augenblick, in dem die Pfleger für die vielen schlaflosen Nächte und anstrengenden Tage belohnt werden. Zu beobachten, wie diese kleinen Tiere in die Bäume steigen, kurz auf uns zurückblicken und schnell die oberen Zweige erreichen, ist einer der schönsten Momente im Leben – und dann weiß ich genau: „Ich habe den besten Job der Welt.“
– Marley Christian, Tierarzthelferin bei Friends of the Koala
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