Koexistenz: Für ein besseres Zusammenleben von Menschen und Tieren
Koexistenz: Für ein besseres Zusammenleben von Menschen und Tieren
Wir alle sind uns den Folgen des Bevölkerungswachstums und der Ausbreitung des Menschen in ehemals naturbelassene Räume bewusst – von Zerstörung von Lebensräumen, Schäden an Häusern, die in Überschwemmungsgebieten oder in brandgefährdeten Wäldern gebaut wurden, über den Mangel an Grünflächen in urbanen Räumen bis hin zur smoggefüllten Luft durch die Industrialisierung.

Doch was geschieht mit Wildtieren, wenn ihre Lebensräume zerstört werden? Wenn ihre Nahrungsquellen verschwinden? Wenn immer neue Siedlungen, Straßen und Zäune ihre Wanderrouten blockieren?
Die Folge ist oft, dass die Tiere in neue Gebiete verdrängt werden und mit anderen Arten und den dort lebenden Menschen um Ressourcen konkurrieren. Dadurch können die Tiere nicht nur als Belästigung, sondern sogar als Bedrohung angesehen werden. Einige der Tierarten werden dann so stark gejagt und dezimiert, dass sie lokal oder sogar weltweit aussterben.
Diese negativen Interaktionen werden als Mensch-Wildtier-Konflikte bezeichnet und stellen weltweit ein großes Problem dar. Glücklicherweise gibt es viele Möglichkeiten, solche Konflikte zwischen Menschen und Tieren zu vermeiden und eine friedliche Koexistenz zu fördern.
Koexistenz bedeutet, dass Menschen und Wildtiere einen gemeinsamen Lebensraum teilen und die jeweiligen Interessen und Bedürfnisse erfüllt werden. Wir sind mit den mit den Tieren, die unseren Planeten mit uns teilen, eng verbunden: Unser Handeln ist dafür verantwortlich, wie friedlich oder konfliktreich unsere Beziehungen zur Tierwelt sind.
Wir vom IFAW sind der Meinung, dass es unerlässlich ist zu lernen, wie der Mensch mit Wildtieren koexistieren kann – und zwar nicht nur für das Überleben der Tiere, sondern auch für unser eigenes.
Warum wir mit Wildtieren koexistieren müssen
Die Koexistenz mit Wildtieren kommt uns Menschen und dem Planeten in vielerlei Hinsicht zugute.
Bekämpfung der Klimakrise
Der vom Menschen verursachte Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen, denen wir gegenüberstehen. Angesichts der Tatsache, dass bis zu einer Million Wildtierarten durch die steigenden Temperaturen gefährdet sind, betrachten wir Tiere oft ausschließlich als Opfer der Klimakrise. Doch sie sind auch unsere Verbündeten bei der Bewältigung dieser Krise.
Mehr als ein Drittel der Kohlenstoffbindung, die zur Abschwächung der schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise erforderlich ist, kann die Natur selbst leisten. In diesem Prozess sind Wildtiere von entscheidender Bedeutung, z.B. Wale und Elefanten.
Verbesserung von Einkommen und Lebensgrundlagen
Viele Menschen sind für ihr Einkommen auf die lokale Tierwelt angewiesen. Zum Beispiel sichert das marine Ökosystem in Kenia die Lebensgrundlage von 2,7 Millionen Menschen. Auch indirekt trägt die Tierwelt zum Schutz des Einkommens und der Nahrungsmittelversorgung bei: Von Bienen, die Nutzpflanzen bestäuben, bis hin zu Fledermäusen und Vögel, die landwirtschaftliche Schädlinge fressen, ist die Tierwelt für den Anbau von Nahrungsmitteln durch die Landwirtschaft von zentraler Bedeutung.
Mit einem nachhaltigen Management können gesunde Wildtierpopulationen auch den lokalen Tourismus ankurbeln und damit für zusätzliche Einnahmen und Arbeitsplätze sorgen.
Im September 2024 veröffentlichte die Weltbank einen Bericht mit dem Titel „Banking on Protected Areas“ (deut.: Auf Schutzgebiete setzen), der Daten darüber enthält, wie der naturnahe Tourismus den Gemeinden wirtschaftliche Vorteile bringen kann. Dem Bericht zufolge hat der Tourismus etwa dafür gesorgt, dass für 30% der Menschen im erwerbsfähigen Alter rund um den South Luangwa National Park in Sambia Arbeitsplätze geschaffen wurden.
Soziales und emotionales Wohlbefinden
Mehrere Studien zeigen, dass das Erleben der Natur dem Menschen hilft, seine körperliche und geistige Gesundheit zu verbessern oder aufrechtzuerhalten. So ergab zum Beispiel eine Studie der Stanford University, dass ein 90-minütiger Spaziergang in der Natur negative Denkmuster verringert, während Spaziergang in einem urbanen Raum dies nicht tat.
Wissenschaftlicher Fortschritt
Die Erkundung von Wildtieren führt Forschende zu wichtigen Entdeckungen, die unser eigenes Leben verbessern. Wussten Sie etwa, dass wir uns mit Fruchtfliegen 75% der Gene teilen, die beim Menschen Krankheiten verursachen? Aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer haben die kleinen Fliegen der Wissenschaft geholfen, besser zu verstehen, wie Krankheiten beim Menschen entstehen.
Die Tierwelt inspiriert so viele unserer Fortschritte, dass es dafür sogar einen Namen gibt: Biomimikry. Hierbei handelt es sich um Lösungen für menschliche Probleme, die daraus resultieren, dass Ingenieur:innen die Natur beobachten.
Ein erstaunliches Beispiel ist die Art und Weise, wie Buckelwale die Entwicklung energieeffizienter Windturbinenblätter inspiriert haben. Buckelwale haben kleine Beulen an der Vorderkante ihrer Brustflossen, sogenannte Tuberkel. Diese drücken Wasser in schnell fließende Ströme zwischen den Beulen, reduzieren den Widerstand und helfen den Walen so, schneller zu schwimmen. Bei Windturbinen ermöglichen solche Tuberkel den Rotorblättern, sich schneller zu drehen, sodass mehr Energie erzeugt werden kann. Eine Studie ergab, dass Tuberkel dazu beigetragen haben, bei Windgeschwindigkeiten von ca. 16 km/h die gleiche Leistung zu erzeugen, für die sonst Windgeschwindigkeiten von ca. 27 km/h erforderlich wären.
Wussten Sie darüber hinaus, dass in der Architektur Termitenhügel zur Hilfe genommen werden, um Gebäude zu entwerfen, die natürlich belüftet und daher energieeffizienter sind? Und die Käferart mit dem lateinischen Namen Stenocara gracilipes, Ingenieur:innen bei der Entwicklung eines Gewebes half, das Süßwasser aus Nebel sammelt und so
Wer weiß, welche unglaublichen Entdeckungen wir verpassen würden, wenn die Wildtiere, die auf unserem Planeten leben, verschwinden würden.
Wie kann Koexistenz aussehen?
Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren sind häufig schwer zu lösen. Für Menschen kann es viel einfacher sein, gewalttätige, zerstörerische Wege zu finden, um mit Wildtieren umzugehen, die als Bedrohung oder Belästigung empfunden werden. Alleine im Jahr 2018 wurden beispielsweise in den USA etwa 1,5 Millionen einheimische Wildtiere getötet, um deren Populationen zu kontrollieren, dazu gehörten Biber, Kojoten, Wölfe, Füchse, Schwarzbären, Rotluchse, Tauben und viele andere Arten, die mit Fallen oder Giften getötet wurden – weil sie als Problem für den Menschen angesehen werden.
Wir beim IFAW konzentrieren uns dagegen darauf, innovative Lösungen für komplexe Probleme zu finden. In manchen Fällen können selbst einfache Veränderungen eine große Wirkung erzielen.
Löwen in Simbabwe
Im Hwange-Nationalpark in Simbabwe leben mindestens 500 Löwen. Diese geraten zunehmend mit Menschen in Konflikt, da die Löwen immer wieder die Nutztiere der Menschen reißen. Schätzungen zufolge haben Löwen zwischen 2020 und 2022 im Distrikt Hwange mehr als 150 Rinder getötet. Das hat dazu geführt, dass die dort lebenden Bäuerinnen und Bauern Löwen aus Vergeltung töten.
Schützt man das Vieh vor den Löwen, kann dieser Kreislauf durchbrochen werden. So werden die Löwen vor den Menschen und die Menschen und deren Nutztiere vor den Löwen geschützt.
Man hat herausgefunden, dass Löwen visuelle Jäger sind, das bedeutet, sie müssen ihre Beute sehen können. Das sich zu nutzen machend bedeutet, dass eine einfache undurchsichtige Plastikplane, die um einen Pferch für Rinder gestellt wird, die Zahl der der Nutztierrisse erheblich reduzieren kann. Der IFAW arbeitet mit ZimParks und der Wildlife Conservation Research Unit (WildCRU) zusammen, um den Einsatz dieser „raubtiersicheren“ Gehege zu fördern. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich diese Gehege leicht von einem Ort zum anderen transportieren lassen, wenn die Herden umgetrieben werden.

In Teilen des Hwange-Distrikts, in denen diese Gehege eingesetzt wurden, konnten wir eine Reduzierung der Zahl des von Löwen gerissenen Vieh um 50% bis 90% feststellen. Diese einfache, aber innovative Lösung schützt Wildtiere, verringert das Risiko gefährlicher Mensch-Wildtier-Interaktionen und trägt dazu bei, die Nahrungsversorgung für Gemeinden zu sichern, die auf die lokale Viehzucht angewiesen sind.
Dieses Gebiet verzeichnet ein rasantes Bevölkerungswachstum, eine rasche Urbanisierung und eine Ausweitung der kommerziellen Landwirtschaft. So werden die Lebensräume der Asiatischen Elefanten zunehmend kleiner, was weitere Probleme mit sich bringt: Elefanten zerstören Ernten und Eigentum und verursachen so nicht nur wirtschaftliche Verluste, sondern sind auch eine Bedrohung für die Menschen. Das führte zu einem Teufelskreis von Mensch-Elefant-Konflikten.
Seit dem Jahr 2000 fördert das IFAW-Projekt zum Schutz des Asiatischen Elefanten die Koexistenz von Mensch und Elefant auf vier Arten: Überwachung der Bewegungen der Elefanten, um die Gemeinden rechtzeitig warnen zu können, wenn sich Elefanten in der Nähe aufhalten; Schulung der örtlichen Bevölkerung und der Behörden, um die Sicherheit von Menschen und Elefanten in der Region zu verbessern; Unterstützung der lokalen Landwirtschaft bei der Anpflanzung alternativer Feldfrüchte, die Elefanten nicht anlocken; und Erstellung eines Lehrbuchs für Schulen zur Förderung des Schutzes der Asiatischen Elefanten.
Jaguare in Mexiko
Früher lebten über 60.000 Jaguare von Arizona und Texas bis nach Mittel- und Südamerika, doch ihre Population hat in den letzten hundert Jahren stark gelitten, ihr Lebensraum ist stark fragmentiert.
Wir stellen uns Jaguare oft als Tiere des Dschungels vor, aber viele dieser Raubkatzen leben in der Nähe wachsender Städte, z.B. um Playa del Carmen in Mexiko, wo die Jaguare Jagd auf freilaufende Haushunde machen. Manchmal töteten Menschen daraufhin Jaguare als Vergeltung, und in manchen Fällen steckten sich die Raubkatzen mit tödlichen Krankheiten, z.B. Hundestaupe, an.
Auch hier half der IFAW bei der Entwicklung einer simplen Lösung. Wir stellen Material für den Bau kleiner Hundehütten zur Verfügung, damit die Hunde in diesen Schutz und Sicherheit vor den Jaguaren suchen können. Gleichzeitig sind die Jaguare dadurch weniger wahrscheinlich Vergeltungsmaßnahmen von Menschen ausgesetzt.

Wie die Einbindung der Bevölkerung die Koexistenz fördert
Wir wissen, dass die Menschen, die in unmittelbarer Nähe von Wildtieren leben, am stärksten von Mensch-Wildtier-Konflikten betroffen sind. Gleichzeitig sind sie es jedoch auch, die entscheidend für die Lösung dieser Konflikte sind. Wir unterstützen diese Menschen und Gemeinden, indem wir ihnen Methoden, Werkzeuge und Ressourcen bereitstellen, die sie zur Vermeidung und Minderung von Konflikten mit Wildtieren benötigen.
Durch die Einbindung der lokalen Bevölkerung in den Natur- und Artenschutz wird sichergestellt, dass die Lösungen nachhaltig sind und sowohl den Menschen als auch den Wildtieren zugutekommen. Social Empowerment fördert Autonomie, Selbstbestimmung und direkte partizipative Demokratie. Dadurch helfen wir den Gemeinden, sich an die sich verändernde Umwelt anzupassen und ihre Beziehung zur lokalen Tierwelt zu verbessern, während wir gleichzeitig ihren Lebensunterhalt sichern.

Wir arbeiten mit Gemeinden auf der ganzen Welt zusammen, um Wege zu finden, das Risiko von Mensch-Wildtier-Konflikten zu verringern.
In Kenia haben wir mit Tsavo Trust zusammengearbeitet, um einen massiven solarbetriebenen Zaun zu errichten, der Elefanten davon abhält, in landwirtschaftliche Nutzflächen einzudringen. Dadurch wurden Konflikte zwischen Menschen und Elefanten vor Ort um fast 90% reduziert und die Lebensgrundlagen von 7.000 benachteiligten Kleinbauern und -bäuerinnen geschützt.
Sehen die Menschen einen konkreten Nutzen in der Arbeit für den Natur- und Artenschutz, sind sie eher bereit, sich daran zu beteiligen. Das ist einer der Gründe, warum wir mit Frauen in den Massai-Gemeinden in Kenia zusammenarbeiten, damit diese sich ein nachhaltiges Einkommen aufbauen und zum Beispiel Wildhüterinnen werden können.
In China helfen wir Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind: Von 2000 bis 2005 stellten wir lokalen Gemeinden Mikrokredite zur Verfügung, um ihnen bei der Umstellung auf alternative Nutzpflanzen zu helfen, die nicht nur wirtschaftlich wertvoll sind, sondern zugleich auch von Elefanten weniger bevorzugt werden. Das Programm umfasste 210 Haushalte in sieben Gemeinden und erzielte eine durchschnittliche Steigerung des Jahreseinkommens von 35%, bei einer Rückzahlungsquote von 100%. Wir haben auch ein Pilotprogramm zur Bienenhaltung gestartet, das Frauen ein Einkommen verschafft und eine zusätzliche Sicherheit bietet, falls sie ihre Ernten aus dem landwirtschaftlichen Anbau zum Beispiel durch Elefanten verlieren.
Die Bekämpfung von Wildtierkriminalität ist ein weiterer wichtiger Ansatz, tödliche Interaktionen zwischen Wildtieren und Menschen zu verringern. Für die Gemeinde Chikolongo in der Nähe des Liwonde-Nationalparks in Malawi ist der Shire River überlebenswichtig. Früher gingen viele Menschen aus der Gemeinde zum Wasserholen in den Nationalpark, wo einige illegal Fallen aufstellten oder fischten. Das Problem schien unlösbar: Die Menschen brauchten Wasser und Nahrung, und die Wildtiere Schutz. Wir haben mit Führungskräften der Gemeinde zusammengearbeitet, um Wasser aus dem Fluss in ein Areal in der Nähe des Dorfes zu pumpen. So verschafften wir der Gemeinde sauberes Wasser und den Wildtieren Sicherheit. Außerdem haben wir in diesem Gebiet eine gemeinschaftliche Fischzucht aufgebaut und mit einem Anreizsystem den Anbau landwirtschaftlicher Nutzpflanzen gefördert. Seit Beginn des Projekts ist es kaum noch zu Mensch-Wildtier-Konflikten gekommen.
Durch die Klimakrise und das Bevölkerungswachstum kommt die Tierwelt uns Menschen immer näher. Daher ist es wichtiger denn je, dass wir nach Wegen suchen, friedlich mit unseren tierischen Nachbarn zusammenzuleben – schließlich gibt es nur einen Planeten, er alle unser Zuhause ist.
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