Grace Ge Gabriel
Damit Tiere und Menschen hier auf der Erde überleben können, müssen wir unser Verhalten ändern.
20-jähriges Bestehen der Greifvogelstation in Peking
An einem kalten Nachmittag kletterten wir auf einen Hügel mit Blick auf Peking. Ich hatte einen Karton dabei. Die Sonne stand hinter den Bäumen bereits tief am Himmel. Das einzige Geräusch war das Knirschen trockenen Laubs unter unseren Stiefeln. „Das ist ein guter Platz“, flüsterte jemand, als wir einen offenen Hang erreichten, der von einem Felsvorsprung überragt wurde. Hinter uns stand eine kleine Baumgruppe. Ich stellte den Karton so auf den Boden, dass der Deckel von mir weg zeigte, und öffnete ihn vorsichtig. Ein kleiner Uhu sprang heraus, hüpfte ein paar Schritte und drehte sich um. Bevor er in die Bäume flog, sah er mir kurz in die Augen.
Ein sehr emotionaler Moment, in dem sich mehrere Dinge zum ersten Mal ereigneten. Der Uhu war das erste Tier, das die erste Greifvogelstation Chinas auswilderte, und erstmals spielten artenspezifische Überlegungen bei der Auswilderung eines Greifvogels eine wichtige Rolle. Wir setzten den nachtaktiven Vogel in der Abenddämmerung aus und gaben ihm damit die beste Chance, sich mit seiner neuen Umgebung vertraut zu machen, Beute zu jagen und in freier Wildbahn zu überleben. Als ich den Uhu im Flug beobachtete, wurde mir wieder bewusst, warum ich die IFAW-Greifvogelstation „Beijing Raptor Rescue Center“ (BRRC) gegründet hatte.
Im Winter 1998 berichteten Medien über Erfolge des chinesischen Zolls im Kampf gegen den illegalen Handel mit Greifvögeln. Bei einem der Zugriffe am Flughafen Peking-Hauptstadt (Beijing International Airport) wurden knapp 400 Sakerfalken sichergestellt. Sakerfalken sind mittelgroße Zugvögel, die von Mitteleuropa bis nach China fliegen. Die Tiere wurden für den Transport in den Nahen Osten mit zugenähten Augenlidern in Strumpfhosen gezwängt und in Koffer verpackt. Leider gab es in China keine professionelle Greifvogelstation, die sie hätte retten können.
Beim Besuch eines als „Auswilderungsaktion“ bezeichneten Events, die das „Bewusstsein der Öffentlichkeit für den Schutz der Vögel“ schärfen sollte, erlebte ich, wie Tiere bei Fototerminen leiden mussten. Sechs Prominente standen mit jeweils einem kranken Greifvogel in der Hand inmitten einer ausgelassenen Menge. Unter dem Jubel des Publikums und den Blitzlichtern der Kameras warfen sie die benommenen Vögel, darunter vier Eulen, gleichzeitig in die Luft. Alle fielen sofort wieder zu Boden. Als ich die leblosen Körper der Vögel sah, brach mir das Herz. Ich war schockiert darüber, dass Menschen mit guten Absichten den Tieren schwere gesundheitliche Schäden zufügten.
„Der IFAW braucht ein Modell, das Standards für die Rettung, Rehabilitation und Auswilderung von Wildtieren setzt“, dachte ich. Von diesem Moment an war ich fest dazu entschlossen, ein solches Modell zu schaffen.
Ich wandte mich an die Beijing Normal University (BNU), die für ihre ornithologische Forschung bekannt ist. Das Professorenteam der Universität nahmen meine Idee begeistert auf. Die BNU stellte nicht nur ihr Fachwissen zur Verfügung, sondern bot auch Räumlichkeiten in einem ruhigen Teil des Universitätsgeländes im Zentrum Pekings an. Gemeinsam erreichten wir eine bahnbrechende Leistung für China: das erste Rehabilitationszentrum für Greifvögel.
Die letzten zwanzig Jahre vergingen wie im Flug, und die IFAW-Greifvogelstation in Peking wächst und entwickelt sich weiter.
Im Jahr 2010 schafften wir unser erstes Anästhesiegerät an. Davor musste das Team der Station die Greifvögel während der Röntgenaufnahme festhalten und manchmal auch hin- und herbewegen, um während einer Operation Röntgenaufnahmen zu machen. Das Narkosegerät erspart dem Team nicht nur das Tragen einer 10 Kilogramm schweren Bleischürze während des Röntgens, sondern es hilft ihm auch, die Greifvögel sicherer und effizienter zu behandeln. Fortschritte erreichten wir in jener Zeit auch bei der Behandlung von Frakturen, die wegen der sehr dünnen Knochen einiger Greifvögel oft schwierig zu versorgen sind.
Im Jahr 2014 installierten wir automatische Sprühvorrichtungen in den Außengehegen, um den Vögeln im Sommer Abkühlung zu verschaffen. Das Team des Rehabilitationszentrums musste damit nicht mehr in der brütenden Hitze stehen und Wasserschläuche halten, um die Vogelkäfige manuell zu kühlen.
2016 konnten wir einen beheizbaren Operationstisch anschaffen. Zuvor hatten das Team das Auskühlen der Vögel bei Operationen mit einer Wärmflasche verhindert. Im selben Jahr modernisierten und erweiterten wir zudem die Käfige. Im vorderen Teil können sich die Vögel durch die Lamellen zwischen den Holzbrettern gegenseitig sehen, so dass junge Tiere das Verhalten älterer beobachten und lernen können. Der hintere Käfigteil ist vollständig geschlossen und bietet den Vögeln Privatsphäre.
Das Team der Greifvogelstation bildet sich laufend fort und wendet modernste Vogelrettungstechniken an. Damit ist eine professionelle Behandlung und Rund-um-die-Uhr-Betreuung für jeden Greifvogel gewährleistet, der in die Station kommt.
Seit der Auswilderung des ersten Uhus vor 20 Jahren wurden in der Greifvogelrettungsstation mehr als 5.500 Greifvögel betreut, die 39 verschiedenen Arten angehören. Mehr als 54% davon wurden in die freie Wildbahn zurückgeführt. Um sicherzustellen, dass ihr langfristiges Überleben gesichert ist, überwachen wir sie auch nach der Auswilderung. Der GPS-Sender eines am 27. März 2018 ausgewilderten Mäusebussards zeigte uns, dass er es schaffte, mehrere Brutsaisons in der Mongolei zu leben.
Das Team der Greifvogelstation stellt zudem sicher, sein Fachwissen weiterzugeben. Es wirbt, wo möglich, bei jeder Rettungsaktion, in jedem Medienbericht und bei jeder Schulveranstaltung für den Tierschutz. Sie teilen ihre Erfahrungen und ihr Wissen mit anderen Rettungsteams im ganzen Land, um die allgemeinen Standards für die Rehabilitation von Greifvögeln zu verbessern und ihren Schutz in China zu fördern.
Auch das wachsende Umweltbewusstsein und vermehrtes Bewusstsein für Artenschutzthemen in der Bevölkerung tragen zum Erfolg bei. Tierrettung und Tierschutz werden immer mehr als ein gemeinsames Konzept erkannt.
Viele Menschen, die Vögel retten, wissen was sie tun müssen bis die Fachleute eintreffen. Eine Hotelmanagerin, die vor Kurzem eine regungslose Waldohreule in einem der Hotelgebäude fand, legte den verletzten Greifvogel sofort in eine Katzentransportbox, deckte ihn mit einem Handtuch zu und stellte ihn in eine ruhige Ecke. Ihr kluges Handeln reduzierte die Stressbelastung der Eule und trug dazu bei, dass sie bereits nach kurzer Rehabilitation wieder ausgewildert werden konnte.
In den ersten Jahren der Greifvogelstation wurde den Rettungskräften bei ihren Einsätzen noch häufig die Frage gestellt: „Ist dieser Vogel essbar?“. Mit dem wachsenden Tierschutzbewusstsein hat sich auch das Interesse der Bevölkerung an Wildtieren geändert. So hören unsere Rettungskräfte heute vor allem die Frage: „Gehört dieser Vogel einer bedrohten Art an? Bitte versuchen Sie, sein Leben zu retten.“
In den vergangenen 20 Jahren hat die Greifvogelstation viel zur Bekämpfung der Wildtierkriminalität und zur Förderung eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen und Wildtieren beigetragen. Wir sind der festen Überzeugung, dass Wildtiere in die freie Natur gehören.
Wir sind gespannt, was die Zukunft für die Greifvogelstation zu bieten hat und werden weiterhin alles tun, um geretteten Greifvögeln eine zweite Chance zu geben.
– Grace Ge Gabriel, Leiterin des IFAW-Regionalbüros Asien
Grace Ge Gabriel
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