Rettung eines Zwergwals: Bericht über den Einsatz vor Ort
Rettung eines Zwergwals: Bericht über den Einsatz vor Ort
16 Juli 2020
Als Notärztin für Meeressäugetiere bekomme ich stets ein mulmiges Gefühl, wenn früh morgens mein Handy klingelt. Hat sich eine Robbe in Fischereileinen verheddert? Sind Delfine gestrandet? Doch der Notruf am 7. November 2017 war anders: Ein lebend gestrandeter Zwergwal! Es ging los: Kurze Besprechung mit dem Rest des Teams, Spezialausrüstung zusammenpacken und dann so schnell wie möglich hin zum Wal.
Als wir am Strand von Wellfleet ankamen, setzte die Flut gerade wieder ein. Der Zwergwal lag in flachem Gewässer. Ich legte meinen Trockentauchanzug an und watete hinaus ins seichte Wasser, um das Tier zu untersuchen. Als ich mich näherte, machte er mit seiner Fluke eine schwimmähnliche Bewegung. Er nahm sein Umfeld also wahr – ein gutes erstes Zeichen. Der Wal beruhigte sich. Ich konnte mich ihm sicher nähern und meine Untersuchung vornehmen. Seine Reflexe waren weitgehend intakt, und sein Allgemeinzustand unauffällig. Er stand gut im Futter und litt wahrscheinlich nicht an einer chronischen Erkrankung. Die Atmung war gleichmäßig und kräftig, aber er hob bei jedem Atemzug den Kopf. Das zeigte deutlich, wie schwer es ihm fiel unter den Umständen Luft zu holen.
Unser Team arbeitete effizient und möglichst leise, um den Wal nicht zusätzlich zu belasten. Ich entnahm an seiner Rückenflosse eine Blutprobe, die in unserem mobilen Veterinärlabor sofort analysiert wurde. Nach gründlicher Untersuchung kamen wir zu dem Ergebnis, dass dem Wal nichts fehlte und er wohl nur zur falschen Zeit am falschen Ort war, als die Ebbe einsetzte. Das kannten wir bereits von Delfinen, die häufiger an der Küste bei Wellfleet Harbor stranden, weil der Tidenhub hier besonders stark ist.
Für die Bergung gestrandeter Wale gibt es keine einfache Standardprozedur. Jeder Fall ist anders. Jedes Tier ist anders. Es braucht ein erfahrenes Team, damit die Bergung so ausgeführt wird, dass der Wal durch die Aktion nicht in noch größere Gefahr gerät. Für viele gestrandete Großwale kommt so eine Rettungsaktion leider erst gar nicht infrage – entweder weil sie zu krank sind, um nach der Rückführung ins Meer zu überleben, oder weil es technisch nicht machbar ist, ein Tier zu retten, das mehr wiegt als der Auflieger eines Sattelzugs. Unser Team versucht stets, bei der Rettung von Meeressäugern an die Grenzen des Möglichen zu gehen und auszuloten, was machbar ist und wie wir unser Bestes für diese Tiere geben.
Dieser kleine und gesunde Wal (vom Gewicht eines SUV) hatte Glück. Die Flut kam, der Wasserpegel stieg, und wir standen mit unseren Pontons bereit, um ihn wieder ins Meer zu geleiten. Jetzt wollten wir noch sicherstellen, dass wir seine Bewegungen nach der Freilassung nachverfolgen können – nicht nur, um zu sehen, ob wir die richtige Entscheidung für ihn getroffen hatten, sondern auch, um unsere Rettungseinsätze weiter zu verbessern. Wir befestigten an seiner Rückenflosse einen kleinen GPS-Sender, mit dem wir ihn für die kommenden drei Monaten verfolgen würden können. Das Team ging in Stellung. Wir stellten sicher, dass jeder so sicher wie möglich war. Dann bewegten wir den Wal wieder in tiefes Gewässer und schleppten ihn aus dem Hafen.
Damit endet normalerweise die Geschichte über die Rettung eines gestrandeten Meeressäugers. Dank des Senders wissen wir jedoch, dass dieser Wal eine unglaubliche Reise in Richtung Turks- und Caicosinseln in der Karibik machte und anschließend mit dem Golfstrom zurück in die Gewässer vor New York kam. Dann war der Akku des Senders leer. In 83 Tagen legte dieser kleine Wal einen Weg zurück, der so lang ist wie die Strecke von London nach Hawaii! Dieser Anruf an einem frühen Morgen entwickelte sich zu einem echten Abenteuer, denn es stellte sich heraus, dass unser Wal der erste jemals nach einer Strandung gerettete und mit GPS-Sender markierte Zwergwal war! Eine weitere Premiere für unser Team, das sich jeden Tag bemüht, neue Wege zu finden, um Meeressäugern in Not zu helfen.
– Dr. Sarah Sharp
Ähnliche Inhalte
Mit großer Unterstützung können wir Großes leisten. Bitte spenden Sie, um Tieren zu helfen.