Lebensraumschutzprojekt Malawi/Sambia
Lebensräume überschreiten Grenzen, Wilderer ebenfallsJane Goodall und Azzedine Downes zum tragischen Tod von Gorilla Harambe
Jane Goodall und Azzedine Downes zum tragischen Tod von Gorilla Harambe
Der tragische Tod des Westlichen Flachlandgorillas Harambe im Zoo von Cincinnati sorgte weltweit für Aufruhr. Das Tier wurde erschossen, um ein in sein Gehege gefallenes Kind zu schützen. Viele Menschen bezweifeln, dass dieser Schritt notwendig war. Das Ereignis hat außerdem die Debatte angeheizt, warum Gorillas und andere Tiere überhaupt in Zoos gehalten werden.
Viele Medienvertreter baten uns um eine Stellungnahme. In der Sensationspresse und in den sozialen Netzwerken finden vor allem kurze, plakative und manchmal leider auch hetzerische Aussagen Gehör. Dr. Jane Goodall, die Ehrenmitglied des IFAW Aufsichtsrats ist, und ich haben versucht, die aus den Ereignissen resultierenden Fragen differenzierter zu betrachten.
Und wir waren der Auffassung, dass es in diesem Fall der Situation für alle Beteiligten - das verletzte Kind, seine verängstigten Eltern, die Pfleger und andere Mitarbeiter des Zoos - angemessen ist, etwas Zeit zum Trauern und Nachdenken über das Geschehene verstreichen zu lassen. Lesen Sie im Folgenden unsere Antworten auf in diesem Zusammenhang häufig gestellte Fragen.
Frau Dr. Goodall, Sie gehören zu den anerkanntesten Primatenexperten der Welt. Viele Menschen würden gerne wissen, wie Sie Harambes Verhalten gegenüber dem Jungen einschätzen. Haben Sie eine Vermutung, was in Harambe vorging? Können Sie sein Verhalten interpretieren?
Dr. J. Goodall: Alles, was man in dem Video sieht, ist, dass ein 220 Kilo schweres Tier ein kleines Kind festhält. Harambe hätte das Kind verletzen können, ohne absichtlich Schaden anrichten zu wollen. Selbst für Menschen, die Harambe näherstanden wie Forscher und Pfleger, die viele Stunden mit ihm verbracht hatten, wäre es schwierig gewesen, in so kurzer Zeit seine Absichten zu lesen. Sicherlich wirkte er zwischendurch ganz sanft, er war aber auch nervös und verwirrt durch das plötzliche Auftauchen des Kindes und durch die Rufe der Zuschauer.
Hat der Zoo richtig entschieden? Oder hätte man Harambe betäuben können?
A. Downes: Da es, wie Jane sagt, unmöglich war, Harambes Absichten sicher zu deuten und somit die Gefahr bestand, dass das Kind verletzt oder sogar getötet wird, denke ich, dass der Zoo keine andere Wahl hatte. Dies ist das traurige Resultat aus einer Haltung von Wildtieren in Gefangenschaft. Es besteht immer ein gewisses Risiko für die Umgebung und auch für das Tier selbst.
Dr. J. Goodall: Das sehe ich auch so. Es dauert außerdem einige Zeit, bis ein Betäubungspfeil wirkt. Es war eine tragische Situation für das Kind, für die Eltern, für Harambe als auch für den Zo sowie für die Pfleger und die Öffentlichkeit. Doch wenn Menschen mit Wildtieren in Kontakt kommen, muss manchmal über Leben oder Tod entschieden werden.
Was kann man tun, um zu verhindern, dass so etwas in Zukunft noch einmal passiert?
Dr. J. Goodall: Man kann nie zu hundert Prozent sicherstellen, dass ein Wildtier in Gefangenschaft keine Gefahr für Menschen darstellt. In den USA gibt es die Vereinigung Association of Zoo and Aquariums (AZA) und weltweit die World Association of Zoos and Aquariums (WAZA). Diese Organisationen entwickeln und propagieren die Anwendung hoher Sicherheits- und Tierschutzstandards in Zoos.
Laut eines CNN-Berichts hat der Zoo in Cincinnati inzwischen Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass künftig keine Besucher mehr ins Gehege eindringen können. Außerdem untersuchen die Association of Zoo and Aquariums und das Landwirtschaftsministerium, ob alle Sicherheitsstandards erfüllt sind. Es kann jedoch nie zu hundert Prozent sichergestellt werden, dass Menschen oder Wildtiere nicht zu Schaden kommen, wenn sie sich so nah kommen.
A. Downes: Der Vorfall mit Harambe hat auch deutlich gemacht, wie selten es vorkommt, dass jemand in einem Zoo verletzt wird, welcher die Standards der Association of Zoo and Aquariums erfüllt. In den USA passiert es weitaus häufiger, dass Menschen von Wildtieren verletzt oder getötet werden, die von Privatpersonen in Gefangenschaft gehalten werden - wie Tiger, Löwen oder Bären, die bei Schaustellern, in Hinterhöfen oder in Kellern gehalten werden. Schätzungen des IFAW zufolge werden etwa 10.000 Großkatzen in Privathaushalten in Gefangenschaft gehalten. Weder die Halter noch die lokalen Sicherheitsbehörden sind für den Fall vorbereitet, dass eines dieser Tiere wegläuft. Der IFAW setzt sich deshalb für Gesetze ein, mit denen man dieses viel größere und gefährlichere Problem bekämpft.
Dr. J. Goodall: Ja, ich bin derselben Meinung. Und das gilt auch für Schimpansen, die in Privathaushalten gehalten werden.
Durch den Vorfall sehen sich viele Zoogegner bestätigt. Viele Menschen fragen sich, was Sie von Zoos halten.
Dr. J. Goodall: Zoo und Schutzgebiete haben ganz unterschiedliche Standards hinsichtlich der Haltung der Tiere. Wenn eine Einrichtung einen hohen Standard einhält, indem sie den Tieren viel Platz, ein soziales Umfeld und Abwechslung bietet, können viele Arten meiner Ansicht nach ein annehmbares und sogar ein gutes Leben führen. Ich kenne viele Menschen, die erst begannen, sich für Tiere zu interessieren, und etwas über Tierschutz erfahren wollten, nachdem sie einen Zoo besucht hatten. Zoos erreichen ein großes Publikum. Außerdem engagieren sich viele Zoos für den Schutz wildlebender Tiere - was alle Zoos tun sollten.
Andererseits gewinnen wir immer mehr Erkenntnisse über Tiere - ihre familiären und sozialen Beziehungen und ihre Psyche. Und je mehr wir über ihre Intelligenz und ihre Emotionen erfahren, desto schwieriger wird es zu rechtfertigen, dass wir sie in Gefangenschaft halten. Über Bücher, Fotos, Filme sowie über das Internet und im Fernsehen können wir Tiere auch in Nahaufnahme erleben, ohne dass sie ihren natürlichen Lebensraum verlassen müssen. Für manche Tiere wie Delfine und Wale ist dies auch der einzig ethisch vertretbare Weg.
Ich bin jedoch der Meinung, dass Zoos, die hohe Standards bei der Haltung einhalten, eine wichtige Rolle spielen für den Tier- und Artenschutz.
Vor allem für Kinder kann das Erleben eines lebendigen Tieres, die Wahrnehmung seines Geruchs, der Blick in seine Augen und das Erleben seines Wesens eine einschneidende Erfahrung sein. Außerdem müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Wildnis inzwischen in vielen Teilen der Welt für Tiere keinen angemessenen Lebensraum mehr bietet. Eines Tages sind wir vielleicht in der Lage, Lebensräume für alle Wildtiere ausreichend zu schützen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
A. Downes: Ich stimme Jane zu, dass es bei Einrichtungen, die sich selbst Zoo oder Schutzgebiet nennen, immense Qualitätsunterschiede gibt. Außerdem entwickelt sich die Einstellung der Menschen gegenüber Zoos kontinuierlich weiter. Je mehr wir über Tiere und ihre Bedürfnisse wissen, desto besser können wir auch ihre Haltung gestalten. Die besten Zoos der AZA-Vereinigung haben nichts mehr gemeinsam mit den Wanderzirkussen, in denen die Tiere in Käfige gepfercht wurden.
Der IFAW arbeitet mit Zoos zusammen, wenn beide ein gemeinsames Ziel verfolgen. Meistens geht es dabei um Artenschutz oder Aufklärung. Wir sind der Überzeugung, dass Wildtiere in die Wildnis gehören. Unser Bestreben ist es, dies überall auf der Welt zu ermöglichen. Wir erkennen jedoch gleichzeitig an, dass es Gründe gibt, die dies nicht erlauben. Beispielsweise wenn Tiere nicht in der Lage sind, eigenständig in der Wildnis zu überleben. Das Wichtigste ist dann, dass für jedes Tier die Lebensbedingungen geschaffen werden, die es zu seinem Wohlergehen braucht.
Man muss sich bewusst sein, dass Tierschutz nicht damit endet, eine bedrohte Art im Zoo zu halten. Der Zoo muss die Öffentlichkeit über die Bedrohungen der Tiere in freier Wildbahn aufklären und sich finanziell an Artenschutzprojekten beteiligen. Bedrohte Arten in Zoos einfach "zu konservieren" und hinzunehmen, dass diese Arten in der freien Wildbahn verschwinden, ist eine ziemlich düstere Zukunftsperspektive. Ein großer Teil der Arbeit von Dr. Jane Goodall besteht darin, bei jungen Menschen Hoffnung zu wecken. Dazu gehört auch Hoffnung für Tiere in Gefangenschaft.
Harambes Geschichte hat auch die Diskussion über den Schutz von Gorillas und Menschenaffen wieder entfacht. Warum sind Menschenaffen bedroht?
Dr. J. Goodall: Die Zerstückelung und Zerstörung ihrer Lebensräume und der illegale Buschfleischhandel sind die beiden wichtigsten Gefahren für wilde Schimpansen. Wegen der großen Nachfrage nach Buschfleisch töten die Jäger die Mütter samt Nachwuchs. Darüber hinaus gibt es eine Nachfrage nach Schimpansenbabys als exotische Haus- oder Zirkustiere.
Viele Menschen fragen sich, wie der Schutz von Gorillas und Menschenaffen verbessert werden kann. Wie sieht Ihr Ansatz aus?
Dr. J. Goodall: Das Jane Goodall Institute setzt sich für den Schutz von Schimpansen und anderen Primaten ein. Wir schützen die Lebensräume von Menschenaffen im Kongobecken, in Uganda, Tansania, Ruanda, Burundi und im Senegal, indem wir uns gegen die Abholzung der Wälder starkmachen und Verbindungen zwischen zerstückelten Wäldern wiederherstellen. Dies geschieht durch so genannte "Korridore" zwischen verschiedenen Lebensräumen, damit Populationen sich vermischen können und der genetische Austausch gefördert wird. Ein Großteil der Arbeit passiert auf lokaler Ebene in Schutzinitiativen, die von Einheimischen geleitet werden. So können diese selbst die Entscheidungen über die Nutzung ihres Landes treffen.
Wir betreiben auch Auffangstationen, unterstützen die Arbeit der Polizeibehörden gegen den illegalen Handel und stellen Aufklärungsmaterialien über Wildtiere und ihren Schutz zur Verfügung. Im Rahmen unseres Programms „Roots & Shoots“ arbeiten wir mit Lehrern und Kindern zusammen. Ohne Auffangstationen könnte die Polizei Schimpansen gar nicht aus den Händen von Schmugglern oder Jägern konfiszieren, weil es keinen Ort gäbe, wo sie sie hinbringen könnten.
Ohne Aufklärungsprogramme wüssten die Menschen vor Ort gar nicht, dass sie die Polizei über Wilderer verständigen sollten. Wir beobachten heute eine steigende Anzahl von Verhaftungen und mehr Strafverfolgung, weil Gesetze häufiger angewandt werden. Insgesamt ist das Verständnis für die Themen größer geworden. Die Arbeit muss jedoch weitergehen.
Genauso wichtig ist es, dass für die lokale Bevölkerung alternative Einkommensquellen geschaffen werden, damit sie aufhören, durch illegale Jagd und die Zerstörung des Waldes Geld zu verdienen oder an Anbauflächen zu kommen.
A. Downes: Kurz gesagt: Wir müssen die Lebensräume der Wildtiere schützen und dem illegalen Wildtierhandel ein Ende setzen. Wie das Jane Goodall Institute setzt sich auch der IFAW für den Schutz von Lebensräumen ein. Wir schaffen Schutzgebiete für Wildtiere und Wanderkorridore durch besiedelte Gegenden, arbeiten für die Reduzierung von Konflikten zwischen Menschen und Wildtieren und bekämpfen den illegalen Wildtierhandel. Wir müssen das Problem auf all diesen Ebenen angehen, wenn wir etwas bewirken wollen, bevor es zu spät ist.
Dr. J. Goodall: Für alle Menschen, die etwas verändern wollen, ist es das Wichtigste zu verstehen, dass unser Leben jeden Tag Auswirkungen auf die Erde hat. Es liegt bei uns, zu entscheiden, welche Art von Auswirkungen dies sein sollen. Wir alle sind miteinander und mit der Natur verbunden. Wenn wir uns vor Augen führen, wie sich unsere Entscheidungen auf Menschen und Tiere auswirken, und beschließen, einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen, können wir gemeinsam sehr viel bewirken.
Für diese Aufgaben gibt es keine einfachen Lösungen. Doch es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, so viel wie möglich über die Bedrohungen von Arten wie den Menschenaffen und die Arbeit von Organisationen wie der IFAW und das Jane Goodall Institute zu erfahren.
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